[ Pobierz całość w formacie PDF ]drehte sich alles, aber ich schaffte es, mich in das Bettlaken zu
hüllen und einige Schritte zu gehen. Niemand begegnete mir,
als ich die Vorhanggrenze überschritt und den Gang zwischen
den Betten durchquerte, um zum Bad zu gelangen. Dort konnte
ich dann das Nötigste erledigen, sodass ich wenigstens dafür
nicht mehr die Hilfe der Krankenschwester brauchte, denn das
war mir unerträglich.
Im Badezimmer gab es eine Dusche hinter einem schon
ziemlich verschlissenen Plastikvorhang, und ein Waschbecken
mit einem Spiegel darüber. Ich blieb lange auf der Türschwelle
stehen, mit wackligen Beinen, dann trat ich ein und schloss die
Tür hinter mir. Ich stützte mich auf den Rand des Waschbeck-
ens und blickte in den Spiegel. Es war das erste Mal, dass ich
mich sah, nach so vielen Tagen. Ich glaubte, in das Gesicht
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eines Unbekannten zu starren, der in ein Bettlaken gehüllt war,
das wie ein Leichentuch aussah. Ich war abgemagert, meine
Haut war labbrig und schwammig, mit Falten und unzähligen
kleinen Narben überzogen. Auf der linken Schulter konnte man
deutlich den Abdruck einer Qualle erkennen, deren Nesseln
sich ins Fleisch gebrannt hatten.
Ich ließ das Tuch zu Boden sinken. Mein ganzer Körper war
weiß.
Sogar meine Haare waren weiß.
Weiß wie der Schnee, der eines Tages bei uns im Dorf ge-
fallen war, ich muss damals ungefähr sechs Jahre alt gewesen
sein. Der Strand, die Häuser, die Boote, alles war mit diesem
weißen Staub bedeckt gewesen. Nur wenige konnten sich daran
erinnern, jemals zuvor Schnee gesehen zu haben. Für uns
Kinder war es ein Wunder, ein großes Fest. Neugierig unter-
suchten wir den Schnee. Er war kalt, und wenn man ihn in der
Hand hielt, kribbelte es irgendwann in den Fingern.
Das Ganze hatte einen Tag gedauert, dann war der Schnee
geschmolzen.
Ich war genauso weiß wie dieser Schnee. Ich sah aus wie ein
alter Mann.
Ich begriff, dass ich im Meer gestorben war und dass das
Meer beschlossen hatte, mir ein zweites Leben zu geben, eine
zweite Chance. Doch ich würde für immer gezeichnet sein vom
Wasser, vom Salz, von der Angst dieser Sturmnacht, die nicht
hatte enden wollen.
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Ich schleppte mich zu meinem Bett zurück und blieb den
restlichen Tag und die ganze Nacht mit offenen Augen dort lie-
gen. Hin und wieder betrachtete ich meine bleichen Hände.
Am nächsten Morgen stand ich wieder auf. Am Ende des
Zimmers war ein großes Fenster, durch das Licht und Sonne
hereinfluteten. Auf unsicheren Beinen ging ich ganz langsam,
Schritt für Schritt, darauf zu, bemüht, nicht auszurutschen auf
dem noch feuchten, nach Zitrone riechenden Boden. Der Weg
kam mir endlos lang vor.
In einem der Betten lag ein hagerer alter Mann, der mir auf
Arabisch Frieden und alles Gute wünschte, dabei strahlte er
mich an.
Vielleicht war auch er mit einem der Boote gekommen.
Ich grüßte zurück.
Dann stützte ich mich auf das Fensterbrett, noch immer un-
sicher und ein bisschen benommen, und sah hinaus: Das also
war Talien. Ich musste es doch kennenlernen, oder? Immerhin
war es das Land, in dem ich mein zweites Leben verbringen
würde.
Der Himmel war derselbe wie bei uns zu Hause, die Kraft der
Sonne hatte nachgelassen, bald würde es Herbst werden. Es
roch nach Salz, Gras und Staub, nach Benzin und Abgasen,
nicht anders als bei uns zu Hause auch.
Vom zweiten Stock aus konnte ich den Hafen und die Molen
sehen, die ankernden Schiffe und die Fischerboote, die ihre
Netze zum Trocknen ausgebreitet hatten. Etwas weiter entfernt
in einem kleinen Hafenbecken lagen Sportboote, die in der
Sonne glänzten. Einige waren fast so groß wie richtige Schiffe,
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an der Außenseite prangten in roter und blauer Schrift die Na-
men der Eigentümer. Und ich sah Segelschiffe, die mit gebläht-
en Segeln aus dem Hafen fuhren, majestätisch und elegant,
ganz anders als das Boot meines Vaters.
Auf einem großem Platz gab es zwei Cafés, an den Tischen
davor saßen Leute unter Sonnenschirmen, ich konnte sogar
ihre Stimmen hören. Es gab auch einige Läden, wie der von
Yves, nur schöner natürlich und mit allem, was man sich vor-
stellen kann. Gelbe, rote und blaue Häuser reihten sich an den
kahlen, braunen Hügeln eng aneinander. Ich sah hin- und her-
fahrende Autos, aber auch zwei Esel mit einem Karren voller
Holz, fast wie bei uns zu Hause.
An dieses Leben könnte ich mich gewöhnen, dachte ich.
Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass das nur ein got-
tverlassenes Fleckchen im Meer war und Talien etwas ganz
anderes.
In den folgenden Tagen verbrachte ich viel Zeit am Fenster,
eingehüllt in mein Laken, denn es gab nichts anderes zu tun
und ich war neugierig.
Ich dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft,
ich dachte an nichts, ich stellte mir nichts vor und machte
keine Pläne. Ich dachte nicht einmal an meine Familie.
Ich sah mich um und beobachtete meine Umgebung, zum
Beispiel die Leute.
Viele Taliener sahen so ähnlich aus wie wir, sie hatten dunkle
Haut und dunkle Haare, genau wie ich früher, sie sprachen
sehr laut und fuchtelten dabei mit den Armen. Ich erkannte
den Besitzer eines der Cafés, einen Mann mit dickem Bauch,
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und einen der Kellner, der an den Tischen bediente, ein flinker
Lockenkopf in meinem Alter. Ich beobachtete den Lieferwagen,
der jeden Morgen um sieben ankam, und den tätowierten jun-
gen Mann, der Kästen mit Cola und Bier auslud und sich dann
eine Zigarette anzündete. Kurz darauf tauchte immer ein klein-
er Mann mit einem winzigen Lieferwagen auf und begann
lustlos, mit einem Reisigbesen den Platz zu fegen.
Die Frauen jedoch waren ganz anders.
Dass sie nicht verschleiert sein würden, wusste ich ja schon.
Zwar trugen meine Mutter und einige andere Frauen aus un-
serem Dorf auch keinen Schleier, und man hatte mir erzählt,
dass in der großen Stadt die meisten Frauen allerhöchstens
ihre Haare bedeckten, wenn sie aus dem Haus gingen.
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